Was wird aus dem Partytourismus?

Der Ballermann auf Mallorca: Von den Anfängen bis zur Coronakrise

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Party total - dafür stand der Ballermann bisher. Doch dann kam die Corona-Pandemie. // Foto: Michael Wrobel

Wie die Partymeile zu dem wurde, was sie war, und zu was sie jetzt werden könnte, wo sie nicht mehr ist.

Das neue Jahrhundert am Ballermann

Noch einmal Rückblick: Die Terrorangriffe auf das World Trade Center in New York 2001 und die Finanzkrise ab 2007 sorgen auch für einen Einbruch des touristischen Geschäfts auf ­Mallorca. Erst in den Zehnerjahren findet der Ballermann langsam zu alter Stärke zurück. Geschuldet ist dies hauptsächlich den Krisen der Mitbewerber: der böse Ausgang des ara­bischen Frühling in Ägypten und Tunesien und das Erstarken der Terrorgruppe ISIS, der kurdisch-türkische Bürgerkrieg, die Euro-­Krise, die Griechenland besonders hart trifft. Und so wird es ab 2013 immer voller auf ­Mallorca. Der Höhepunkt ist im Jahr 2018 erreicht. Fast 14 Millionen Touristen verbringen ihren Urlaub auf der Insel.

Das erwirtschaftete Geld wird mit politischer Rückendeckung in Hotel-Renovierungen oder Neubauten investiert. Vier- und Fünf-Sterne-Häuser lösen die heruntergekommenen Herbergen ab. In erster Meereslinie entstehen Cocktailbars und geschmackvolle Restaurants, die sich vom allgemeinen Bild ­einer schmuddeligen Playa zwischen billigen Supermärkten und Wurstbuden abheben. Der altehrwürdige Ballermann 6 wird aufgehübscht und in Beach Club Six umbenannt. Dort kostet das San-Miguel-Bier vom Fass nun 3,40 Euro. Der bisherige „Geiz ist geil“-Tourist reagiert entsetzt, sein Lebensraum wird enger. Zumal auch die altbekannten Rückzugsorte der Trinker, Megapark und Bierkönig, an der Preisschraube drehen. Plötzlich ist die Maß Bier teurer als auf dem Oktoberfest. Das Programm der beiden großen Party-Tempel wird dabei immer praller. Im Megapark drücken sich Mickie Krause, Michael Wendler, Costa Cordalis und Jürgen Drews die Klinke in die Hand, im Bierkönig sind es Peter Wackel und die Ex-Pornodarstellerin Mia Julia.

Peter Wackel beim Opening 2019 im Bierkönig. // Foto: Michael Wrobel

Die Playa wird langsam zu einem Luxusort, doch davon lassen sich die Fußballmann­schaften auf der Saisonabschlussfahrt nicht abschrecken. Die Anziehungskraft des Ballermanns will nicht nachlassen, trotz all der Maßnahmen die die Regierung ergreift, um dem Sauftourismus Einhalt zu gebieten.

Die Bierpyramide und ihre Folgen

Die Behörden hatten seit Jahrzehnten konsequent weggeschaut. Zwar gab es bereits Mitte der 90er-Jahre ein Eimersaufen-Verbot, doch allzu drastisch fielen die Restriktionen nicht aus, um den Suff am Strand zu stoppen. Das ­Leben an der Partymeile war zwar wild, aber weitgehend friedlich. „Wir hatten im Riu Palace in den Neunzigern keinerlei Security“, erinnert sich der frühere Direktor der Großraum-Kellerdisco . „Das war nicht nötig, wir hatten zwei Kellner, die nebenbei aufpassten. Es gab keine Schlägereien.“

„Wir hatten zwei Kellner, die nebenbei aufpassten. Es gab keine Schlägereien.“

Radja Dalimontee, damaliger Direktor im Riu Palace

Vielleicht ist das aber auch eine friedliche Verklärung der Zustände. Fest steht: Mit dem Aufkommen des Fotohandys werden die Zwischenfälle dokumentiert und finden den Weg in die Presse. Auch das Verhalten der handelnden Akteure verändert sich zum Teil dramatisch. Als zwei Ballermann-Entertainer aus der Kategorie besonders schlechtes Benehmen im April 2016 mit 4.000 Bierbüchsen eine Bier­pyramide am Strand bauen wollen, kommt es zu einem Moment, der als die Bierschlacht vom Ballermann in die Annalen eingeht. Statt eine Pyramide zu bauen, bespritzen sich mehrere Hundert Party-Urlauber am Balneario 6 mit Bier, schleudern die Büchsen durch die Luft und betrinken sich, während Policía Local und Anwohner perplex danebenstehen.

Dem Gastronomen Juan Ferrer, der einige Läden zwischen Can Pastilla und Arenal besitzt, reicht es. „Acht Wochen Ballermann sind okay, aber acht Monate sind nicht okay. Was würde München zu acht Monaten Oktoberfest sagen?“, fragt er damals wütend im einem Interview. Mit seinem Bruder Mika und dem ­Hotelier Pedro Marín gründet er die Initiative „Palma Beach“ und fordert lautstark eine Qualitätsoffensive für die Playa de Palma. Schon bald schließen sich Dutzende Unternehmer an, unter anderen die mächtige Hotelkette Riu. Auch die Politik ist begeistert von den ­Plänen einer neuen Playa de Palma.

Als auch die Anfänge der Saison 2017 geprägt sind von Ausschreitungen, ist das Maß voll. Auf Druck der Regierung schafft der Bierkönig das Freibier ab, besonders derbe Sänger dürfen nicht mehr auftreten. In der Schinkenstraße wacht nun ein Großaufgebot an Wachleuten über einen Bierkönig, der 2018 gezwungen wird, Einlasskontrollen durchzuführen. Im gleichen Jahr wird der Megapark behördlich halbiert. Der nach wie vor im Raum stehende Vorwurf: illegale Baumaßnahmen. 2019 schließlich wird per Dekret ein Trink- und Essverbot in der Schinkenstraße ­erlassen. So bessern sich die Zustände, aber reicht das der Linksregierung?

Das Coronavirus und die Folgen für den Ballermann

„Die Urlauber wollten grundsätzlich drei ­Dinge: deutsches Bier, deutsches Essen und deutschen Schlager – also lernten die einst so verarmten Mallorquiner, wie man Schnitzel zubereitet“, schreibt der Ballermann-Sänger Lorenz Büffel („Johny Däpp“) in einem offenen Brief an die Balearen-Regierung, den er auf ­seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Kurz zuvor, Ende Juni 2020, hatte Büffels Arbeitgeber, der Megapark, bekannt gegeben, dass er in diesem Jahr nicht mehr öffnen wird. Zu restriktiv seien die Sicherheitsauflagen.

Ballermann Sänger Lorenz Büffel („Johny Däpp“) hätte gerne seinen alten Ballermann wieder zurück. // Foto: Michael Wrobel

Der offene Brief, der lediglich auf Deutsch verfasst ist, greift nicht nur auf ein antiquiertes Urlaubsbild zurück (deutsches Bier, Essen, Schlager), er zeugt von einem anmaßenden Chauvinismus, den die Gäste am Ballermann immer wieder an den Tag legen: Ohne uns wärt ihr immer noch arme Bauern! Wie beeindruckt die Behörden von diesen Worten sind, falls sie sie gelesen haben, erfahren die Ballermänner zwei Wochen später. Nachdem sich in einer Nacht die Touristen in der bisher recht unschuldigen Bierstraße in Ermangelung anderer Trink-Möglichkeiten ballen, werden per behördlicher Anordnung alle Läden in der Bierstraße geschlossen, das Bamboleo und der Bierkönig in der Schinken­straße dürfen gar nicht erst öffnen. Damit ist die Saison am Ballermann erledigt. Erst Mitte September, zum Ende der Saison, darf wieder aufgesperrt werden, wenn sich das dann ­überhaupt noch lohnt.

Das Ende des Ballermann?

An der Playa de Palma machen nicht nur Deutsche Urlaub. Viele Nationalitäten kommen hier zusammen. Skandinavier, Holländer, Slowenen oder Franzosen können mit dem ­Begriff Ballermann nicht viel anfangen, sie verbinden nichts mit den Ritualen der trunkenen Teutonen, nichts mit ihrer Musik. Und das könnte die Chance der Ballermann-Verächter sein: Die Übermacht der Deutschen an der Playa muss dauerhaft gebrochen werden, um einen Gezeitenwechsel einzuläuten. Aber ist das wirklich sinnvoll? War die Entwicklung bis zum Jahr 2019 nicht eigentlich eine gute? Die Eindämmung des Suffs?

Für ein wirklich friedliches Beisammensein der Völker an den fünf Kilometern Strand, da sind sich fast alle Beteiligten einig, muss sich das Niveau ändern. Und – im Interesse ­ihrer eigenen Existenz – wären besonders Megapark und Bierkönig aufgerufen, sich für das Jahr 2021 moderne Konzepte einfallen zu lassen. Es braucht keine halbtalentierten ­Suffsänger mehr, deren musikalische Kompetenz kaum über ein „Zicke Zacke“ hinausgeht. Es braucht keine Zwanzig-Liter-Säulen voller Wodka Lemon, um Spaß zu haben. Die Betreiber der großen Clubs haben jetzt ein Dreivierteljahr Zeit, an Konzepten zu arbeiten, die zwei Dinge zwingend bezwecken müssen: eine Besänftigung der Behörden und damit verbunden ein Unterhaltungsprogramm, das nicht in Eskalation endet. Es wird ein schwieriger Spagat werden.

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